Wolfgang Patzak leitet die konstituierende Sitzung des Wetterauer Kreistags am 11. Mai 2021 ein

14.05.2021

Rede des „Altersvorsitzenden“ Wolfgang Patzak anlässlich der konstituierenden Sitzung des Wetterauer Kreistags

Meine sehr geehrten Damen und Herren Kreistagsabgeordneten,

sehr geehrter Herr Landrat Weckler,

sehr geehrte haupt- und ehrenamtliche Kreisbeigeordneten,

liebe Trägerinnen und Träger von Ehrenbezeichnungen,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

Ich begrüße Sie sehr herzlich zur konstituierenden Sitzung des Wetterauer Kreistages. Platz haben Sie aufgrund des Ergebnisses der Kreistagswahl 2021 und der festgelegten Sitzordnung hier in der Stadthalle unserer Kreisstadt gefunden.

Ich heiße auch alle Besucherinnen und Besucher, die hinten Platz genommen haben, sehr herzlich willkommen.

Ebenso herzlich begrüße ich die Vertretung der Presse.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Vor uns liegen nun fünf Jahre, die wir in den Dienst der Bürgerinnen und Bürger dieses Kreises stellen wollen, häufig sicher mit unterschiedlichen Auffassungen, aber doch auch sehr oft in einer nach außen vielleicht zu wenig beachteten Gemeinsamkeit.

Viele von uns sind neu in diesem Kreistag – ich gehöre diesem Gremium mit Unterbrechungen seit 1981 an – zuletzt teilweise als Mitglied im Kreisausschuss. Es scheint mir gerade als langjähriges und jetzt auch in dieser Rolle eines als alt „geoutetem“ Mitglied in dieser Runde angebracht, weniger auf das Trennende als vielmehr auf das verbindende Element zu verweisen, das gerade auf kommunaler Ebene noch mehr gepflegt werden sollte.

Hinter uns liegt ein Wahlkampf, der über weite Strecken von der Auseinandersetzung in der Sache geprägt war und dazu dienen sollte, dass die Wählerschaft sich ein möglichst umfassendes Bild vor der Wahlentscheidung machen kann. Zuweilen hatte man den Eindruck, dass der Ton der Auseinandersetzung etwas arg rauh war und andererseits die Coronakrise viele Inhalte zusätzlich überlagert hatte. Dies zusammen hat die Menschen, die Wählerinnen und Wähler sicher eher abgeschreckt, als dass es als Einladung zur aktiven Mitarbeit in den politischen Gremien aufgefordert hat. Lassen Sie uns also gemeinsam in diesem Kreistag dafür sorgen, dass der Ton beim notwendigen politischen Streit um die Sache immer angemessen bleibt, dass es keine verbalen Ausrutscher gibt, und dass sich – bei allen Unterschieden in der Sache  – persönlich ein kollegialer Umgang ermöglichen läßt.

Mit Ausnahme der – zum Teil auch an anderer Stelle – politisch hauptamtlich tätigen Personen sind wir zumindest in diesem Haus überwiegend ehrenamtlich tätig. Auch das will ich an dieser Stelle einmal herausstellen. Wir alle haben uns entschlossen im Dienst der Allgemeinheit einen Beitrag zu leisten.

Es schmälert keineswegs die ehrenamtlichen Aktivitäten im Sozialwesen, in Sportvereinen oder bei der Feuerwehr, um nur einige Beispiele zu nennen, wenn ich bei dieser Gelegenheit auch einmal die Arbeit herausstelle, die in diesem kommunalen Kreisparlament ehrenamtlich geleistet wird. Wie wir diese Arbeit gestalten wird allerdings darüber mitentscheiden, ob es eine Werbung für diese Form des bürgerschaftlichen Engagements sein wird oder nicht. Ich hoffe sehr, dass es uns gelingen wird, dafür zu werben, dass sich mehr Menschen im Wetteraukreis für eine solche ehrenamtliche Tätigkeit begeistern und zur Mitarbeit entschließen können.

Wichtig ist mir, dass wir einen wichtigen Wert im demokratischen Miteinander nicht vergessen. Eigentlich sind es zwei: die Toleranz und die gegenseitige Achtung als Menschen. Was meine ich damit?

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Michel Friedmann hat in einer bemerkenswerten Rede in Büdingen im Rahmen von „Demokratie Leben“ gesagt: „Jeder ist Jemand“.

Diesen Satz sollten wir uns dann immer vergegenwärtigen, wenn es in der Debatte vielleicht wieder einmal hoch hergehen sollte und der eine oder andere sich bemüßigt fühlt, die große Politik, wenn möglich gar die internationale Politik in unseren Kreis zu holen. Wir sollten daran denken, dass unsere Aufgabe darin liegt, Probleme, welche die Menschen unmittelbar und sehr direkt bewegen, aufzugreifen und Lösungsvorschläge zu erarbeiten.

Dazu ein weiteres aktuelles Zitat:

Michel Friedmann hat im VRM-Kommentar letzten Samstag in diesem Sinn formuliert:

„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer Rechtsstaat. Wie auch immer man zu einzelnen politischen Entscheidungen während der Corona-Pandemie steht, muss festgestellt werden, dass sich die Demokratie während der größten gesellschaftspolitischen Herausforderung der letzten Jahrzehnte bewährt hat. Zwar hätte ich mir gewünscht, dass der Deutsche Bundestag regelmäßiger in die Entscheidungen der Exekutive eingebunden worden wäre, doch ist der Grund, warum dies nicht geschah, durch Beschlüsse des Bundestags selbst begründet.

In engen Grenzen erlaubte er der Exekutive, Entscheidungen ohne Konsultationen mit dem Parlament zu treffen. Zwar empfand ich die Kakofonie der Ministerpräsidenten teilweise unterkomplex, aber unabhängig davon hat sich der Föderalismus und damit die Pluralität der Machtteilung in der Bundesrepublik Deutschland bewährt. ….

Die Gewaltenteilung, insbesondere die Rolle der Gerichte, ist vorbildlich. Urteile hoben manche Entscheidungen der Exekutive auf. Andere wiederum wurden bestätigt. Das Demonstrationsrecht, eines der wichtigsten Freiheitsrechte, blieb unangetastet.

Bis auf einige Facetten mit „zu viel Notstandshintergrund“ breite Zustimmung von meiner Seite. Ob in der notwendigen Breite seine Forderung „Jeder ist Jemand“ von uns allen im Detail so umfassend gelebt wird, wie das Liberale gerne hätten, das lasse ich bewusst offen. Zu schnell kategorisieren wir heute Menschen z.B. als Rechte, Linke, Coronaleugner oder in ähnliche Schubladen, wo es doch oft nur um die angesprochenen Facetten in der Diskussion geht. Und diese lässt eben nie nur „schwarz oder weiß“ zu. Eine offene Debatte sollte das aus meiner Sicht gar nicht zulassen.

Diese offene Debatte findet in innerparteilichen Diskussionen manchmal langatmig statt – überlagert von aufwallenden Emotionen. Auch hier nenne ich die zweite Seite der Medaille – zu kleinlicher emotional überlagerter Streit um Facetten oder gar Nuancen – und die große Linie geht dann verloren.

Im Kreistag müssen wir da einen Mittelweg aus meiner Sicht auf sachlicher Ebene finden und die große Linie nicht vergessen.

Selbstkritisch betrachtet geht das Schwarz-Weißdenken dann schnell auch einmal quer durch alle Fraktionen bei der Frage um den Standort für ein Impfzentrum zwischen Vertretern des östlichen und des westlichen Kreisteils los.

Das, obwohl wir uns bei den Listenaufstellungen schon zu Kompromissen zwischen Flügeln der Parteien, Jugend und Seniorenschaft, über die Frauenquote und auch über Vertretung des Ost- und Westteils unseres Kreises verständigt hatten. Den Rest hat dann die Wählerschaft mit unterschiedlichen Ergebnissen vor Ort „korrigiert“.

Die liberale Friedrich-Naumann-Stiftung hat einmal eine Kampagne unter dem Leitspruch „Toleranz zeigt sich im Handeln“ beworben. Dies trifft meine eigene innere Überzeugung gut und ist mir persönlicher Anspruch. Hier sehe ich ganz subjektiv beurteilt die Verbindung zu Michel Friedmanns Argumenten.

Achten wir alle mehr auf breit angelegte Toleranz und Achtung gegenüber der oder dem „Anderen“.

Die Menschen registrieren sehr schnell, wenn die politischen Repräsentanten die Bodenhaftung verlieren, wenn Zusagen und Versprechen nicht eingehalten werden, wenn der Dialog mit der Wählerschaft zu sehr als einseitiger Versuch der politischen Parteien und Gruppierungen gerät, sie mit vereinfachenden Parolen einzudecken. Wenn gar der problematische Versuch gemacht wird, Menschen in gut und böse einzuteilen und einige vorschnell auszugrenzen. Vor allem wenn diese sich an unsere demokratischen Spielregeln halten und damit natürlich auch die Schutzrechte unserer Verfassung genießen dürfen.

So geraten wir in die Gefahr, dass die Distanz zur Politik zunimmt und immer mehr Wählerinnen und Wähler gar nicht erst zur Wahl gehen. Auch bei uns im Kreis war die Wahlbeteiligung erschreckend gering. Es liegt nun an uns allen dafür zu sorgen, dass sich dies wieder ändert. Dazu beitragen kann ein angemessener Umgang miteinander. Eine politische Debatte kann in der Sache auch einmal hart ausgefochten werden.

Lassen Sie sich vom heute ältesten Mitglied dieses Kreistages mit auf den Weg geben, dass man es auch gelassener angehen kann. Ein Kreis wie unsere Wetterau ist immer noch ein relativ überschaubares Gebilde. Die Menschen sind oft nicht nur flüchtig miteinander bekannt, sondern kennen sich aus Vereinen, über die Mitarbeit in Kirchengruppen oder ganz einfach bereits seit Kinder- oder Jugendtagen – zum Teil auch aus der ehrenamtlichen Politik.

Ich meine auch, dass es bereits ein wenig hochtrabend klingt, wenn wir, die wir selbst Bürger unseres Kreises sind, auf kommunaler Ebene bereits ein wenig abgehoben daherreden, wenn wir uns allzusehr als Politiker fühlen und dabei gerne von Vertretung der Bürgerschaft reden. Wir dürfen die Menschen in unserer Gesellschaft – und damit die Gesellschaft insgesamt – nicht spalten.

In dieser Rolle als Alterspräsident noch ein paar Erfahrungen aus nun 40 Jahren hier im Haus.

Die über den Ältestenrat sehr strikt gehandhabte Redezeitbegrenzung führt mit Einschränkungen zu einem Verlust an Debattenkultur im Kreistag.

In den Fachausschüssen wich das Ringen um Inhalte zuletzt oftmals dem beschriebenen Höhenflug emotionaler Argumente und zuweilen vorschnellen Einordnungen. Ich meine früher insgesamt mehr Achtung vor abweichenden Meinungen und mehr Bereitschaft zum Zuhören wahrgenommen zu haben.

Mein Fazit kurz und knapp : Schade!

In schnelllebiger sms/What’s App-Zeit geht da vieles dem Zeitgeist geschuldet zu schnell in stark verkürztes oberflächliches „Geblubber“ über. Darunter leidet die Qualität der Debatten.

Ein Wort zum Abschluss verbunden mit einem Appell:

Es ist gleichgültig, ob man ein Mandat auf der Ebene der Kommune, im Kreis, im Land oder darüberhinaus erlangt hat. Wichtig bleibt vor allem, dass Sie, die frei gewählten Mitglieder des Kreistages bei Ihren Entscheidungen einzig Ihrem Gewissen verpflichtet sind. Sie sind keinesfalls Befehlsempfänger der Sie entsendenden Parteien, auch wenn es sicher von deren Seite immer wieder Versuche geben wird, dies durch Ausübung von mehr oder minder sanftem Druck anders zu sehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

lassen Sie uns gemeinsam die Toleranz und die Achtung gegenüber anderen Meinungen an  die Spitze unserer Arbeit rücken. Entfernen wir uns vom Schubladendenken, nehmen jeden Mitbewerber im Sinne von Michel Friedmann als „Jemand“ wahr und setzen wir uns mit ihm in der Sache klar und auch energisch auseinander – aber bitte inhaltlich.

Dies wird viele Stunden unserer Freizeit in Anspruch nehmen und sicher auch oft anstrengend sein. Nehmen wir uns vor, diese Arbeit in fairem Wettstreit zu erledigen, ohne persönliche Angriffe und Kampagnen.

Denken Sie mit mir daran: Toleranz zeigt sich im Handeln.   

Ich wünsche uns allen eine erfolgreiche Zeit.